Seite 25 Jahren ist Willi Stächele Landtagsabgeordneter für den Wahlkreis Kehl. Grund genug um mit ihm über die Veränderungen der politischen Kultur in Deutschland zu sprechen.
Es ging bei mir immer aufwärts – bis auf den Rücktritt.« Willi Stächele sitzt in seiner Wohnung in Achern und lässt seinen Blick aus der Balkontür in den Himmel schweifen. Der Rücktritt als Landtagspräsident von Baden-Württemberg steckt ihm heute noch in den Knochen. In der Affäre um den Rückkauf des Energiekonzerns EnBW im Jahr 2010 trat Stächele Ende 2011 von seinem Lieblingsamt zurück. Es war ein unnötiger Rücktritt, wie sich später herausstellte. »Ich habe mir nichts zu schulden kommen lassen.« Alle Ermittlungsverfahren gegen den für den EnBW-Kauf verantwortlichen Finanzminister wurden eingestellt.
Trotz dieser hässlichen Episode zum Schluss seiner parlamentarischen und ministeriellen Karriere (siehe »Zur Person«) blickt Willi Stächele zufrieden und dankbar auf die vergangenen 25 Jahre zurück, in denen er den Wahlkreis Kehl vertreten durfte. Das silberne Jubiläum sei schon etwas Besonderes. Das schaffen nicht viele. Zumal er 13 Jahre davon in ministerieller Verantwortung stand. Dass er Freude an dieser Arbeit hat, weiß jeder, der ihn kennt. Den Satz »Die Leute liegen mir am Herzen« nimmt man dem ehemaligen Bürgermeister Oberkirchs ab.
Europa treibt ihn um.
Unermüdlich vermittelt er zwischen Interessensgruppen, diskutiert, hört zu und beschwört beispielsweise die Bedeutung Europas gerade für die Region am Oberrhein. Die antieuropäische Stimmung findet er fatal. »Wir müssen wissen, dass unsere Arbeitsplätze, der Wohlstand, die soziale Sicherheit und Gerechtigkeit von offenen Märkten und Handelswege abhängig sind.« Europa treibt ihn um. Kein Wunder, dass er seit 2016 Vorsitzender des Ausschusses für Europa im Landtag ist. Selbst jetzt, mit 65 und nicht mehr in der ersten Reihe der Landes-CDU aktiv, schmiedet er Pläne.
Jüngst hat er alle Schulen im Kreis angeschrieben und sich als Ansprechpartner für Europa angeboten. »Die Resonanz war erbärmlich. Kaum eine Schule hat sich zurückgemeldet«, erzählt er jetzt noch sichtlich überrascht. Die Veränderungen im politischen Betrieb und der Gesellschaft bereiten dem Politiker deshalb schon gewisse Sorgen.
Stächele beginnt nachdenklich von einem Besuch eines Musikvereinkonzerts zu erzählen. Als er die Gemeindehalle am Ende mit seiner Lebensgefährtin verlässt, muss er sich auf der Treppe von einem Unbekannten als »Volksverräter« beschimpfen lassen. »Zuerst war mir überhaupt nicht klar, dass ich gemeint war. Unglaublich.« Der Respekt vor dem Abgeordneten sei vielfach verloren gegangen. Obwohl sie die Vertreter des höchsten Souveräns in einer Demokratie, des Volkes, seien. Früher habe es zum guten Ton gehört, anwesende Abgeordnete deshalb bei öffentlichen Veranstaltungen zuerst zu begrüßen. »Heute muss man froh sein, wenn man überhaupt noch erwähnt wird«, weiß Stächele zu berichten.
Mit dem Auftauchen der Alternative für Deutschland (AfD) habe es seiner Meinung nach in der politischen Kultur Deutschlands einen Bruch gegeben. »Über lange Zeit waren Politiker als wegweisende Autoritäten gefragt«, sagt Stächele. Es ging dabei nicht um Unterwürfigkeit, sondern man habe dem Politiker einfach einen Wissensvorsprung in manchen Themen zugetraut. »Heute ist es wie auf dem Fußballfeld – jeder weiß Bescheid, jeder weiß es besser.«
Das Niveau von Diskussionen erreiche oft ein Level, an dem Stächele beginnt, sich für andere zu schämen. Beim Thema Flüchtlinge habe er bei einer CDU-Veranstaltung sogar die Contenance verloren und ist laut geworden. Da seien Sätze über Flüchtlinge gefallen, die nichts Christliches mehr hatten. Selbst jetzt muss er noch den Kopf schütteln.
Keine Wähler beschimpfen
Die Zwischenrufe bei Landtagsdebatten durch die AfD seien teilweise unterirdisch. »Ich will keine Wähler beschimpfen«, betont der CDU-Politiker, »aber beim Gebrauch des Wahlrechts sollte die Verantwortung für die Auswirkungen nicht aus dem Blick verloren werden.« Jedem, der die Partei gewählt habe, rät er, die Truppe im Parlament genau zu beobachten.
»Mit wilder Entschlossenheit müssen wir die Grundfesten der Demokratie diskutieren und letztlich verteidigen«, zeigt er sich engagiert für die große Sache der Demokratie. Denn eines hat Willi Stächele in den vergangenen Monaten aus der Flüchtlingsdebatte gelernt: »Auf die Demokratie gibt es keine Ewigkeitsgarantie. Was passiert, wenn es Deutschland wirtschaftlich schlechter geht?«
Mittelbadische Presse/Christoph Rigling