„Die Bewältigung der Flüchtlingssituation wird kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Marathon!“

10.03.2022, 09:45 Uhr

Unter der bewährten Leitung von Willi Stächele (MDL) und Hotelier Meinrad Schmiederer fand am 10.3.2022 wieder der Dialog Dollenberg im gleichnamigen Hotel in Bad-Peterstal Griesbach statt. Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Verbänden trafen sich zum Austausch über brandaktuelle Themen aus den Bereichen Politik und Wirtschaft. 

„Ich freue mich sehr, dass unsere Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges, die derzeit von einem Krisengipfel zum anderen unterwegs ist, es sich nicht hat nehmen lassen, heute Abend aus erster Hand über die aktuelle Lage bei der Flüchtlingssituation zu berichten“, so Willi Stächele bei seinem Grußwort.
 
Eine der Hauptredner war diesmal nämlich Marion Gentges, Ministerin für Justiz und Migration in Baden-Württemberg. „Europa, ja die Welt rückt in diesen schicksalhaften Tagen zusammen“, so Gentges im Hinblick auf die Entwicklungen in der Ukraine. Berührt berichtet sie von der großen Hilfsbereitschaft der deutschen Bürgerinnen und Bürger von der sie sich erhofft, dass sie „kein Kurzstreckenlauf“ sei, sondern dass man sich bewusst mache: „Diese Krise ist ein Marathon, der noch viel von uns abverlangen wird.“ Sie wünscht sich, dass sich Deutschland die aktuelle positive Grundhaltung und die Solidarität mit Geflüchteten auf Lange Sicht hin erhält und lobt die große Bereitwilligkeit der Kommunen, ihre Aufnahme-Obergrenzen aufzustocken. Gleichzeitig stellt sie mit Betroffenheit klar: „Die aktuellen Aufnahmekapazitäten werden nur noch ein paar Tage reichen.“ Aktuell seien bereits Hotels angemietet und Hallen mit Feldbetten ausgestattet worden um auf den Flüchtlingsstrom in unklarer Höhe (das UN Flüchtlingshilfswerk rechnet mit mehreren Millionen Menschen) vorbereitet zu sein. 
Für die Hilfsbereitschaft unzähliger Privatpersonen wie Hotelchef Meinrad Schmiederer, der geflüchtete Angehörige seiner Ukrainischen Mitarbeiter bei sich im Hotel untergebracht hat, ist sie unendlich dankbar. „Wir alle hoffen das Beste und beten für den Frieden. Aber keiner von uns weiß, was wirklich auf uns zukommen wird. Und vor allem: Wie viele Menschen bei uns eine sichere Zuflucht suchen werden!“ Denn: auch Fluchtursachen aus anderen Regionen als der Ukraine bestünden weiterhin.
Besonders wichtig ist ihr die erkennungsdienstliche Behandlung aller Ankommenden über Erstaufnahme-Einrichtungen „Ukrainische Pässe gewinnen an wirtschaftlichem Wert“, sagt sie besorgt. Auch Kriminelle hätten das erkannt und man müsse hier gute Wege finden, um mit Kommunen sowie privaten Initiativen zu kooperieren. Denn auch die Sicherheitslage  Deutschlands dürfe nicht vernachlässigt werden.
Dr. Dietrich Birk vom VDMA danke im zweiten Redebeitrag des Abends den Unternehmen für die große Solidarität und Akzeptanz der Sanktionen. Er nahm jedoch kein Blatt vor den Mund und machte allen Anwesenden schnell klar: „Die Wertschöpfung im Industriebereich ist in Gefahr!“ Denn: Obwohl Russland nur auf Platz 12 der Wirtschaftspartner Deutschlands was den Export beträfe, stünde, so dürfe man sich dennoch nicht in Sicherheit wiegen. Er wies auch auf Folgeschäden in einigen Detailbranchen wie z.B. im Bereich Maschinenbau hin. Auch neue Wege zur Rohstoffbeschaffung müssten zeitnah aufgetan werden, da ein nicht unerheblicher Anteil von Nickel, Titan, Palladium und Aluminium immer noch aus Russland kämen. „Hier müssen wir schnellstmöglich Ersatzmärkte auftun!“, so Dr. Birk.
Dr. Jürgen Josef von der ECG und Sachverständiger für Energiewirtschaft moniert die Naivität vieler die jetzt aus einem Impuls der Solidarität mit der Ukraine heraus fordern, die russischen Gaslieferungen sofort einzustellen. „Wenn wir auf Gas aus Russland verzichten, stehen die Räder in vielen Unternehmen still.“ Er empfiehlt die Lektüre des Bundesnetzagentur-Planes. Nicht in den Privathaushalten würde man dann nämlich den staatlich limitierten Zugang zu Gas spüren, sondern zunächst vor allem in den Unternehmen. Mit einem Augenzwinkern bemerkt er: „Manchen Politikern würde ich gerne einmal auf die Finger klopfen. Denn sie wissen nicht, was sie mit einem Einfuhr-Stopp für russisches Gas bei deutschen Unternehmen anrichten!“ Er erbittet sich hier ein klareres Abwägen der Politiker zwischen den wirtschaftlichen Interessen Deutschlands und dem Wunsch nach mehr Sanktionen für Russland.
Auch Thorsten Krenz, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn und letzter Redner des Abends, sieht sich ebenfalls mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Wenn auch andere Art als seine Vorredner. Er berichtet über sein Ziel, die Schiene für die Zukunft fit zu machen und damit verbundene Chancen und Herausforderungen. Trotz massiver Fahrgastzahlen-Einbrüche im Zusammenhang mit der Pandemie seien Investitionen in Milliardenhöhe getätigt worden. Selbst in Lockdown- Zeiten mit einer Fahrgastauslastung von nur 15% habe sie den Betrieb aufrecht erhalten. Die DB AG verstehe sich nämlich als Teil der Daseinsvorsorge und nähme daher auch wirtschaftliche Risiken in Kauf. Erst jetzt bei den neuerlichen Flüchtlingsströmen aus der Ukraine sei das wieder mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. „Wie kommen viele flüchtende Menschen bei uns an? Mit der Bahn, an Bahnhöfen!“ Immer mehr spüre er auch Rückenwind aus der Politik, die der deutschen Bahn den Rücken stärke. „Im Bundeshaushalt stehen dieses Mal mehr Mittel für die Schiene als für die Straße zur Verfügung.“ Dies stelle eine Zäsur da. Krenz sieht deutlich den Zusammenhang zu Klima- und Umweltzielen. Die Schiene sei unersetzbar. 
 
Eine spannende Fragerunde und Diskussion schloss sich an die jeweiligen Redebeiträge im stimmungsvollen Spiegelsaal des Hotels an. „Es gibt viele Baustellen, die anzugehen sind“, rüttelt Willi Stächele die Gäste und Mitglieder zum Abschluss des Abends noch einmal auf. „Wir brauchen einen langen Atem. Es heißt: Alles Einsetzen für Frieden und Freiheit in Europa! Hier sind wir alle gefragt!“